Die humanistischen und die realistischen Mittelschulen

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Der Wolpertinger
Batzi
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Die humanistischen und die realistischen Mittelschulen

Beitrag von Der Wolpertinger »

Die Mittelschulen

An den humanistischen und an den realistischen Mittelschulen wird die allgemeine wissenschaftliche Bildung erworben, die hauptsächlich als Grundlage dienen soll für die spätere durch die Universitäten und die sonstigen Hochschulen zu erwerbende Fachbildung. Die Oberaufsicht über diese Anstalten steht für das Gebiet der technischen Fragen (in Bezug auf Unterricht und Disziplin) dem Kultusministerium zu, die Fürsorge für die äußeren Verhältnisse den Anstalten obliegt zunächst den Kreisregierungen. Die Personalfragen werden im allgemeinen unmittelbar vom Kultusministerium behandelt.

Die Regierungen der deutschen Staaten haben hinsichtlich der Einrichtung der humanistischen Gymnasien gemeinsame Grundsätze vereinbart, so insbesondere hinsichtlich der Zahl der kurse, des Aufnahmealters und der Gegenstände der Reifeprüfung (Absolutorial-, Maturitätsprüfung). Weiter wurde vereinbart, daß das Reifezeugnis, das ein Angehöriger des Deutschen Reichs an einem Gymnasium oder einem Realgymnasium (einer Realschule I. Ordnung) irgend eines deutschen Staates als Schüler der Anstalt erworben hat, in jedem Bundesstaat diejenigen Berechtigungen gewährt, die mit dem Reifezeugnis der Anstalten dieses Staates verbunden sind, hinsichtlicht der Reifezeugnisse der Realgymnasien (Realschulen I. Ordnung) jedoch mit der Einschränkung, daß diesen nur diejenigen Berechtigungen zuerkannt sind, die mit ihnen in dem Ausstellungsstaat verbunden sind.

Die humanistischen Gymnasien
In Bayern bestehen vier Hauptformen von humanistischen und realistischen Mittelschulen, die humanistischen Gymnasien haben den Zweck, die männliche Jugend auf der Grundlage höherer allgemeiner Bildung zu selbständigem Studium vorzubereiten. Der lateinische und der griechischen Sprache sind erheblich mehr Unterrichtsstunden als den anderen fächern gewidmet, englische und italienische Sprache sind nur Wahlfächer. Französische Sprache ist Pflichtfach, auch Arithmetik, Mathematik und Physik werden als Pflichtfach gepflegt. Der Unterricht umfaßt neun Jahreskurse. Wer in die ersten Klasse eintreten will, muß in der Regel das zehnte Lebensjahr vollendet haben oder in dem betreffenden Kalenderjahr noch vollenden. Der Vorstand führt den Titel Rektor, ihm steht ein Konrektor zur Seite, die Rektoren einiger Anstalten führen den Titel Oberstudienrat. Zur Beratung wichtiger Angelegenheiten, zur Erhaltung der Einheit und des Zusammenhangs des Unterrichts, zur wechselseitigen Mitteilung der auf die Anstalt bezüglichen Wahrnehmungen finden Sitzungen des Lehrerrats statt, der sich in der Hauptsache aus allen "Ordinarien", d. h. denjenigen Lehrern zusammensetzt, die in einer klasse die meisten Stunden erteilen. Die ordentlichen Lehrer der wissenschaftlichen Fächer führen teils den Namen Gymnasiallehrer, teils den Namen Gymnasialprofessor, außerdem werden den Anstalten nach Bedarf Assistenten zugewiesen.

Als Anstalten, die nur einen Teil des Unterrichts vermitteln, der an den humanistischen Gymnasien erteilt wird, erscheinen die Progymnasien und die Lateinschulen, erstere weisen sechs Unterrichtsklassen auf, entsprechend den sechs unteren Klassen der humanistischen Gymnasien, letztere fünf oder weniger Klassen, entsprechend den betreffenden Klassen des humanistischen Gymnasiums. Die Vorstände der Progymnasien führen den Titel Rektor, die der Lateinschule den Titel Subrektor, die ordentlichen Lehrer der erstere den Titel Gymnasiallehrer, die der letzteren den Titel Studienlehrer. Am Schlusse der sechsten Klasse findet an den Progymnasien eine Abgangsprüfung statt. Schüler, die von einer Lateinschule an ein Gymnasium oder an ein Progymnasium übertreten, werden nur auf Probe aufgenommen. Mit den drei unteren Klassen der Progymnasien und Lateinschulen können Realklassen verbunden werden.

Die Realgymnasien
Die Realgymnasien bezwecken, auf dem in der unteren drei Klassen des humanistischen Gymnasiums gelegten Grunde weiterbauend, eine höhere allgemeine Bildung unter besonderer Betonung der mathematischen-naturwissenschaftlichen Fächer zu gewähren. Sie umfassen sechs Jahreskurse mit den Ordnungsziffern vier bis neun. Der lateinische und der französischen Sprache ist eine nicht unerhebliche Stundenzahl gewidmet. Das Aufnahmealter ist entsprechend dem Aufnahmealter bei den humanistischen Gymnasien geregelt. Für den Vorstand und den Lehrerrat bilden jedoch hier nicht die Ordinarien, sondern die Lehrer gewisser (der wichtigeren) Fächer. Die Bezeichnung der Leher ist die gleiche wie bei den humanistischen Gymnasien. Eine Anzahl der Realgymnasien hat nun einen selbstständigen Unterbau.

Die Realschulen
Die Realschulen sollen auf sprachlich-historischer und mathematischer-naturwissenschaftlicher Grundlage eine höhere bürgerliche Bildung gewähren. Sie umfassen sechs Jahresklassen. Ausnahmsweise kann auch die Errichtung von Realschulen gestattet werden, die nur die vier unteren Klassen umfassen, sogenannte "vierklassige Realschulen". Für Schüler der 5. und 6. Klasse kann eine besondere Handelsabteilung gebildet werden. WEgen des Eintrittsalters gilt das bei den humanistischen Gymnasien Gesagte. Der Vorstand führt den Titel Rektor, die ordentlichen Lehrer werden als Reallehrer bezeichnet, nach Bedarf werden Assistenten aufgestellt. Es besteht ein Lehrerrat mit denselben Aufgaben und mit ähnlicher Zusammensetzung wie bei den Realgymnasien. Mit den drei unteren Klassen von Realschulen können Lateinklassen verbunden werden.

Die Oberrealschule
Oberrealschulen bestehen in Bayern erst seit 1.September 1907, sie sollen allgemein bildende Unterrichtsanstalten mit dem Ziele der Vorbereitung zum Hochsschulstudium sein. An der Spitze steht der Rektor, der bei einigen Anstalten den Titel Oberstudienrat führt, neben diesem steht ein Konrektor. Die Lehrer führen die Bezeichnungen Professor oder Reallehrer, zur Aushilfe werden Assistenten beigegeben. Die Anstalten umfassen neun Jahrgangsstufen, die Mehrzahl der Stunden ist für den Unterricht in den Naturwissenschaften, in der französischen Sprache, in der deutschen Sprache, in der Mathematik und im Zeichnen bestimmt.

Besondere technische Unterrichtsanstalt
Als besondere technische Unterrichtsanstalt besteht ein "Technikum" zu Nürnberg, und als Institut zur Fortbildung und Ausbildung von Lehrern der gewerblichen Fortbildungschulen und der Gewerbeschulen besteht die "Baugewerbeschule mit Gewerbelehrerinstitut" zu München.

Wissensschmankerl

Bayern zählte 1909 46 humanistische Gymnasien, 32 Progymnasien, 9 Lateinschulen, 4 Realgymnasien, 46 Realschulen, 9 Oberrealschulen

In neuerer Zeit (1909) hat man vielfach als einen Mangel empfunden, daß bei dem damaligen Lehrplan der Mittelschulen die Eltern genötigt waren, sich darüber, welche Schule ihre Kinder dauernd besuchen sollten, bereits zu entschließen wenn diese Kinder erst 9 oder 10 Jahre alt sind, ein Alter in welchem häufig noch gar nicht erkennbar ist, ob die Kinder für ein höheres Studium überhaupt befähigt sein werden, und in welchem noch seltener bereits eine auf einen künftigen Beruf hinweisende besondere Begabung hervortritt. Um diesen Mißstand zu begegnen, hat man in verschiedenen Städten Deutschlands versuchsweise sog. Reformgymnasien errichtet. In Bayern ist dem Realgymnasium in Nürnberg eine Reformschule angegliedert gewesen.
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